Marosch M. Schröder

Oliver Wick

 

Gegen Stille verhallten Exerzierens

 

Drei Pfähle erheben sich im nordwestlichen Eckraum, links, am Ende eines zweigeteilten Flures. während des Abschreitens offenbaren sich die Versehrungen des Kasernengebäudes, tritt Krieg und Zerstörung in Schrunden und Rissen, grätigen Rippen vergangenen Parkettbodens und staubigen Wandputzresten zu Tage. Auch die drei gleichlangen Balken in diesem Raum zeigen Brandspuren. Sie wurden 1986 aufgerichtet und bilden den Kern des "RAUM GENERAL-PAPE-STRASSE".
In abweisender, bedrohlicher Vertikalität stehen die Balkenstücke vor den drei aneinandergebauten schmalen Rundbogenfenstern. In ihrer mittelsymmetrischen Anordnung werden sie zu einer vorgelagerten Fortsetzung des Fensterkreuzes, ergibt sich die Kreuzsymbolik insbesondere gegen Abend, wenn das Gegenlicht abnimmt und sich die nicht mehr überblendete Traverse kreuzend hinter die Pfähle legt. Die vielgestaltigen Assoziationen von Folter, Exekution, Schindung, Mord und Tod wandeln sich so zu Leid und Martyrium. "RAUM GENERAL-PAPE-STRASSE" ist ein Mahnmal, welches die Künstlerin Gabriele Heidecker immer wieder in abgewandelter Form in den zusammen mit dem Maler und Lebenspartner Marosch Schröder veranstalteten Projekten in der K A S E R N E beibehält. Unter fortlaufendem Einbezug von Elementen solcher Installationen trifft sich so die Kontinuität ihrer künstlerischen Arbeit mit jener geschichtlichen des Ortes Kaserne. In den Kellern des Kasernenareals General-Pape-Strasse befand sich 1933 ein 'wildes' Konzentrationslager der SA, wo noch vor der Scheinlegalisierung der Terror von Folter und Mord an Vertretern der politischen Opposition, Intellektuellen und jüdischen Ärzten und Anwälten seinen schrecklichen Anfang nahm.
In der jetzigen 5. Variation des "RAUMES GENERAL-PAPE-STRASSE" kann der Betrachter bloß durch einen schmalen, horizontalen Observationsschlitz, ähnlich dem einer Verliestüre, in den Raum blicken; die Türöffnung selbst ist mit schwarzer Plastikfolie verklebt. Auf einer eingefassten Glasfläche werden ihm verkrustete Reste der Installation "RED LINE" vor Augen geführt. Daneben liegt ein Querschnitt durch diese als Blutspur zu deutende Rinne und weitere getrocknete rote Farbe. Ein Stück Eisenschwelle legt sich quer vor die Tür; dahinter befindet sich ein quadratisches Stück Papier, zwischen je vier buchartig aufgefächerte Parketthölzer gelegt. In die beinahe toten Winkel der Eingangswand sind bei genauem Hinsehen die getrockneten Tierhäute des "HAUT-RAUMES" gelehnt. Das Schaurige spricht für sich selbst, auch ohne Wissen um die spezifische Vergangenheit.

Zudem eignet den Erinnerungsstücken solcher Aktionen, die jeweils durch gegenwärtiges Zeitgeschehen ausgelöst wurden, eine allgemein evokative Kraft, die sich zu immer neuen 'Bildern' fügen lässt.

Gabriele Heidecker arbeitet mit dem Raum. Auf der Ebene der Räume der Kaserne ist dies vorwiegend der politisch-zeitgebundene Aspekt, der Werke und Installationen bestimmt, eigentliche 'Zeit-Räume' entstehen lässt. Doch Raum, ungeachtet seiner Abmessungen, war schon immer ein Element, das durch die definite Größe als Raumkasten, als Raumgerüst, eine grundsätzliche Voraussetzung für ihre Assemblagearbeiten bildete. Der Dialog von umschlossen und bewahrt sein zu aufbrechen und durchstoßen, aber auch die Überlagerung solch bildnerischer Objekträume zu Raumabfolgen und Durchbrüchen sind durchgehende Merkmale. Ob Drahtgestell, Schachtel, Bilderrahmen, Sockel oder das blanke Geviert eines Blattes, es ist das sichtlich federleichte Spiel solcher Objektbilder in dem ihnen zugestellten Raum, das besticht. Diese verwendeten Möglichkeiten eines Bildraumes werden zu eigentlichen Behältnissen, in welchen sich poetische und tragische, ganz persönliche und archetypische Bildaussagen zu bewahrten Welten entfalten. Deshalb besteht im Umgang mit handgroßen Kästchen und Räumen der Kaserne auf dieser Ebene kein Unterschied. Doch so wie "RAUM GENERAL-PAPE-STRASSE" zu einem Ort(s)-Zeit gebundenen Mahnmal wird, so spiegeln sich die installativen Innenwelten der Kaserneräume nach außen, brechen auf in Geschehnisse der Zeit, verlassen den Ort und bleiben ihm doch verpflichtet.

"NACHT MAHL - ZWEI TISCHE - NORD SÜD" ist hinsichtlich dieses Durchbrechens, dieses Einschnittes in die Wirklichkeit, ein eindrückliches Beispiel. Eine zweigeteilte Tafel, Biertische, die mit weißem Vlies bedeckt sind, erstreckt sich in den 50 Meter langen Korridor der Kaserne. Dieser liegt exakt in der Nord-Süd-Achse. Seine großen Stirnfenster, die praktisch den gesamten Querschnitt ausfüllen, sind mit schwarzer Folie so verhängt, dass der verbleibende Lichtschlitz den leuchtend weißen Tisch fortzusetzen scheint. Entsprechend der hieratischen Plazierung legt sich eine Linie aus Kerzenlichtern in Hälften von Filmdosen und Echthaarbüscheln in den Zwielichtintervallen über die beiden Tafelhälften. Geschnittenes - totes - Haar, ein vielschichtig selbstredendes Symbol, vom Lockenfall bis zu den Haaren, die als begehrter Rohstoff aus der Vernichtungsmaschinerie der KZ's anfielen. Bei Tag erstreckt sich die Tafel, wie ein gebündelt einfallender Lichtstrahl, durch den Korridor, kommt und endet im Licht. Bei Nacht dagegen wird das nördliche Fenster durch die dahinterliegende Masse eines Nachbargebäudes zum dunklen Spiegel während das südliche zum transparenten Spiegel wird, in dem die Lichter der Stadt sichtbar sind. Unendlich zieht sich nun die Tafel mit ihrem Mahl aus dem Dunkel auf der nord-südlichen Himmelsachse in die Welt. Vor- und Unterbewusstes läutert sich durch die Gegenwart des Ortes in Licht der Erinnerung.

Solche Gegenwärtigkeit großer Installationen wird auch betont durch die wiederkehrenden Objekte. Die schwarz gelackte 'Abtropfschale' aus "HAUT RAUM - RAUM HAUT" wird in der jetztigen Installation "PRESENT-LIBERTE EGALITE FRATERNITE" zum Blutsee, zu einem überdimensionierten Calyx für das Opferblut überhöhter, verblendender Ideale, deren vierte Seite, die Kehrseite, leer bleibt. Auch das Blut, verdickte rote Farbe oder Filmblut, wird im wortwörtlichen Sinne zum roten Faden. Dabei haftet seiner einfachen Symbolik eine bewusste Banalität und sichtbare Künstlichkeit an, die des Betrachters Umgang damit entlarvt. In "RED LINE" und den zugehörigen "SCHIESS SCHEIBEN OBJEKTEN" nimmt er diesen Umstand geradezu erleichtert wahr, ähnlich der Distanzierung und Verdrängung der Blutspuren, die sich tagt"glich durch die zusehends filmisch aufbereiteten Medien ziehen.

Allen diesen Rauminstallationen scheint das Zarte und Verletzliche der "HÄNGE KÄSTEN", "FALTOBJEKTE" und "PRÄGEDRUCKE" entgegenzustehen. In ihnen spiegelt sich eine andere Welt wieder, wo Fundstücke, das immergleiche papierne Rechteck, durch den künstlerischen Zugriff so verwandelt werden, wie die dem Erwachsenen wertlos erscheinenden Schätze, welche von Kinderhänden wohlbehütet aber ein geheimes Zauberreich entstehen lassen. In dieser Umkehr, als Kehrspiegel gleichsam, machen sie bewusst, was Gewalt sein kann.

 

 


Die Malerei von Marosch Schröder entsteht in einem direkt bildlichen Sinne über und zwischen einer existentiellen Polarität, ja mit ihrem feinen Lebensnerv umspannt sie diese Dialektik, versucht sie zu einen, was sich trennt, zu versöhnen, was auseinanderklafft. Eigentlich könnte man auch noch sagen, zu heilen, wo eine tiefe Wunde geschlagen wurde. "ZWISCHEN", ein Bild, das als Inbegriff für diese Metapher steht, sie wortwörtlich, eben 'bildbildlich' in Malerei umzusetzen weiß, offenbart erstmals die formale Bildfindung dieses dialektischen Prinzips, zeigt die Zwischen-Bildthematik, wie sie seit 1987 immer wieder in den Arbeiten von Marosch Schröder zu finden ist. Wichtig scheint, vorweg zu betonen, dass es sich um eine Findung handelt, etwas kontinuierlich Aktives, nicht Abzuschließendes und nie in einer Lösung Auf- und Einzulösendes. "ZWISCHEN" zeigt eine mit zwei Blöcken gefestigte Bildstruktur. Diese dominant schwarzfarbenen, kantigen Gewichte lasten und ruhen in den beiden unteren Ecken ohne sich innerhalb des Bildes zu berühren. Ihre steil abfallenden, sich zugeneigten Flanken, bilden einen Schlund, der sich zusehends verengen würde. Darüber öffnet sich ein vielfältig in weiß und grau abgestufter, mit rot und rosa hinterlegter Farbhimmel, der von einem gegenläufigen Duktus bewegt aber auch beruhigt wird. Eine zarte, abgesetzte Linie durchzieht den mittleren Bildraum, vom linken Block ausgehend, im rechten endend. Ihr Ansteigen verläuft zunächst steil und verflacht sich alsbald und bleibt solange kontinuierlich, bis eine vom oberen Rand ins Bild stoßende Keilform ihren Verlauf abrupt brechen lässt. Nun fällt sie ab. Wie die Lebenslinie einer Hand, durchspannt sie das dynamische Feld zwischen den beiden Blöcken. Die polare Setzung, die von ihnen ausgeht, wird vom Künstler mit der Begrifflichkeit "bevor ich war - wenn ich nicht mehr sein werde" als aktiv durchlebt begriffen. Ein Dazwischen, das nur im gelebten Fluss der Malerei eine Entsprechung finden kann, das zu durchwandern eine bildliche Tragik einfordert, eine Wahrhaftigkeit verlangt, die errungen werden muss. Kratzspuren in der Farbhaut stehen dafür ein.

Zwischenbilder sind aber auch als gemalter Aktionismus gegen gemachte Bilder, als Frage nach dem Dazwischen von Bildern zu verstehen. Es ist das Hinterfragen der Realität alltäglicher Bildpräsentation in den Medien. Die "NEWS" der übermalten Zeitungsbilder der "Zeit" werden zu eigentlichen Zeit-Übermalungen, die Bilder des Nachrichten Magazins "Der Spiegel" zu den "BLOCKS" - Spiegel-Übermalungen. Malend wird in die Gegenwartszeit und ihre Spiegelungen eingegriffen, wird auch hier eine Polarität von schwarz auf weiß, von wahr und falsch zu überbrücken gesucht. Und dabei wird der Graben, der dazwischen liegt, aufgetan und sichtbar gemacht. Die einzelnen Übermalungen sind auf Tafeln zu Folgen gereiht: Nachrichtenblöcke, Bild- und Wandzeitungen. Noch lesbare Bildlegenden, handschriftlich aufgetragene Gedanken und fette Tafelbeischriften verbinden sich zu einem hintersinnigen Sprachgefüge, das mit dem Gesicht der trivialen Schlagzeile ebensolche demaskiert: "Mannomann, Bessere Welt, Die Berichtigung von Wirklichkeit, Die Berichterstattung der Berichterstattung, Die Wahrheit, nichts als die..., Keine Frage, Bedenke: Letztendlich..., Angesichts." Dabei bleibt es dem Betrachter selbst überlassen, den Verästelungen solcher Wortspiele hinterherzudenken und ihren Sinn in die Bilder einer Tafel hineinzutragen. Manchmal tritt der Künstler auch deutlicher als Subjekt daraus hervor und wird zum Agitator zwischen diesen Bildern: "Jetzt schreite ich aber ein, Blut auf der Leinwand, Künstler Brandstifter." Das Programm läuft dem alltäglichen, unverarbeiteten Bilderfluss entgegen, allerdings ohne dass es versucht wäre ihn aufhalten zu wollen. Die Strukturen sollen in ihrer eigenen Brüchigkeit, an ihren Schnittstellen zu Tage treten. Der Film soll von selbst reißen. Im Bild "FILMRISS" scheint die Sequenz stillzustehen. Für Momente zerfällt sie in ihr einfachstes Muster der Schwarz/Weiß-Malerei, reduziert sich die Illusion auf eine parataktische Rasterung, die als bloßgelegter Maßstab aller Dinge am unteren Bildrand vor Augen gehalten wird. Das kopfstehende Blockmotiv scheint aus der hälftigen Übermalung hervor, die jenseits der collagierten Filmspur beginnt. Die Lebenslinie steigt, bricht und fällt. Eine menschliche Figur wird von ihr teilweise umschlossen. Der Umriss des Künstlers, der sich auf und in die Leinwand geworfen hat, der ins Bild tritt, greift aber auch darüber hinaus, stemmt sich gegen den Raster, greift zwischen die Stäbe dieses Gefängnisses. Es ist ein Aufbegehren gegen den schönen Schein des Films, dessen zumeist banale Drehbuchseiten, als Makulatur auch die Kehrseite der montierten "NEWS" und "BLOCKS" abgeben. Gleichsam zwischen den Zeilen gelesen, sind die nicht sichtbaren Bilder, jene zwischen den einzelnen Bildern, bedeutsam.

Der Malerei in Zwischenbildern ist noch eine weitere Dimension, die der ungemalten, noch nicht gemalten Bilder zu eigen. Damit ist auch der Ursprung des Bildens gemeint. Im "Bild mit Vier Variablen" wird gerade dieses subtile Entstehen zum eigentlichen Thema. Das im Titel genannte "BILD" ist eine große, vielfach bearbeitete Leinwand. Sie ist abgespannt. Ein tiefgründendes, warmgetöntes Violett-Blau erstreckt sich in der ganzen Fläche. Der großzügige Duktus ist vom weißlichen Untergrund hinterleuchtet, die abgelegte Haut von verborgenem Leben gezeichnet. Kreidig aufgemalte, weiße Linien umreißen Rechteckformen. Nach zwei horizontalen Registern von oben, hängt nur noch ein einzelner Sporn nach unten. Wenige einzelne Rechtecke stehen in der Fläche. Am unteren Rand befinden sich vier größere. Die Formen sind gereiht und zum Teil voneinander abgesetzt, wenige Überlappen sich. Der Umriss ist bei einigen nicht fertig ausgezogen. Entstehende, noch leere Formen und zukünftige Bildträger? Die "VARIABLEN", vier krapplackrote, festgespannte Bildquadrate, hängen unter der großen Leinwand. Die Anordnung erinnert an die Predella eines Altarbildes. In unterschiedlichster Weise wird an ihnen das "BLOCK"-Motiv sichtbar, zum Teil nur in der Umkehrung von Form und Gegenform. Es stellt sich ein Zwiegespräch von Leerformen und Bildformen ein, und das Potentielle vom "BILD" und seinen beigestellten "VARIABELN" beginnt in dem sich abzeichnenden Gerüst der Möglichkeiten zu fließen.

Im Fluss dieser Malerei findet sich die Entsagung an eine Welt, die sich im blinden durchexerzieren fester Vor- und Abbilder genügt. Exerzitien treten an die Stelle des Exerzierens und spüren dem Dazwischen der Bilder nach, indem sie nach den immer neuen Spuren der Zwischenbilder suchen.

Copyright: Oliver Wick, Basel, 1992


Aus: Spiegelung - Reflection, Gabriele Heidecker . Marosch Schröder, Katalog/ Kunstamt Berlin-Tempelhof anlässlich einer Ausstellung in Nahariya - Israel