Marosch M. Schröder

CHRISTIAN DÖRING


NOTES + NEWS


Arbeiten auf Papier von Gabriele Heidecker und Marosch Schröder
Einführung am 4. Juni 1991 von
Christian Döring

zur Ausstellung im Kunstamt Berlin / Tempelhof

 

"Zu keiner Zeit ist so viel über Kunst geschwatzt und so wenig von der Kunst gehalten worden" - es sei denn als Aktienersatz oder "News und Notes" auf Papier, eben als Wert-Papier -, und dieses noch längst nicht verjährte Verdikt bestätigt mir manche Vernissage. So wünsche ich mir hier andere Erfahrungen.

Mein Medium, meine Damen und Herren, ist sonst die Literatur, auch eine Kunstform, erwarten Sie aber und also bitte nicht, daß ich "schwatze" von News und Notes im Kaleidoskop der Ansätze und Positionen zeitgenössischer Kunst. Mein Medium ist sonst das lyrische oder prosaische Typoskript -umsomehr aber freue ich mich darüber, heute abend mit Ihnen von bildenden Künstlern, von Gabriele Heidecker und Marosch Schröder, mich anregen zu lassen.

Literatur und Kunst spiegeln nicht nur die ins Neurotische gesteigerten Umlaufgeschwindigkeiten einer bewegten Welt - der Spiegel selbst ist beweglicher geworden: Was kann man heute noch wie schreiben, bewegt den Autor - was kann ich heute noch malen, oder sagen wir: machen, um den Ding-Charakter dieser Kunst hervorzuheben, machen wie: das bewegt offenkundig Marosch Schröder und Gabriele Heidecker. Und beide gehen noch weiter und fragen nicht nur, was ist die Zeit, sondern wie ist die Zeit, vor allem Marosch Schröder fragt nach Zeit-Erfahrung. Paradox ist es, Zeit aufschreiben zu wollen, festhalten zu wollen. Aber Paradoxien sind seit jeher Mittel der Erkenntnis. "Wenn mich niemand darüber fragt", was also die Zeit ist, "so weiß ich es; wenn ich es erklären möchte, so weiß ich es nicht".

Nicht anders ergeht es dem, was wir Kunst nennen, erst recht, wenn in ihr Gegenwartszeit als Kunst sich Ausdruck zu verschaffen sucht, erst recht, wenn Kunst zu jener von Augustinus gemeinten Zeit sich ins Verhältnis zu setzen sucht. Nicht anders ergeht es Kunst, der es eignet, wie hermetisch sie sich auch immer gebärdet, sich gegen Erklärungen zu sperren, weil sie die Vielschichtigkeit von Bedeutungen uns nur gleichsam widerwillig herausrückt. Und so verstehe ich diese Ausstellung in ihrer Konzeption, in ihrer Rauminszenierung als Angebot zum nicht schwatzenden Sprechen über - nennen wir es Kunst - und diesem Angebot antworte ich mit meiner Annäherung, meiner Les-Art.

Marosch Schröders Zeit- und Zeitungsübermalungen, seine News-Paper-Ver-und -Enthüllungen verhelfen der Zeit zum Bild: Seine Kunstanstrengung reagiert offensichtlich auf die Bedingungen ihrer Existenz - was kann ich machen wie - in einer Mediengesellschaft. Mediatisierung heißt: prozessierende Gegenwart in den Medien, Medien, die "Facts" liefern und "News". Wir wissen es: Wirklichkeit ist inszeniert, Schein des Als-ob und, modisch gesprochen: simuliert. Second-hand-Erfahrung. Zweite mediale Natur verdrängt authentische Erfahrung, deutet Raum und Zeit um: in Allgegenwart und Allüberall, ins universal-permanente "Jetzt" und "Hier", es verschmilzt das sichtbar Wirkliche mit Virtuellem, das Faktische mit Fiktivem. Aktuelle Kunst am Beginn eines das Jahrhundert beschließenden Jahrzehnts reagiert darauf wie selbstverständlich.

"Der Künstler wählt seine Stoffe aus: das ist seine Art zu loben". Auf Papier: die Zeitung und die Zeit, bei Marosch Schröder, auf Papier die Figur, die Bewegung in Raum und Zeit, bei Gabriele Heidecker.

Marosch Schröder bedient sich des Mediums, in dem er "Der Zeit" die Zeit einschreibt, er schafft seine Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit von Kunst. "Was wir tun, wenn wir tun, was wir tun" - heißt nicht zufällig ein Titel.
Und Marosch Schröder bedient sich des Mediums im Rückverweis auf sich selbst, auf Material und formale Gestalt. Übermalungen haben sich der Eigengesetzlichkeit des Materials zu beugen: 'das als Papier in seiner Zeit im Vergilben seine Vergänglichkeit belegt, es zerfällt, es verflüchtigt sich wie Zeit - altert wie alle historische Zeit und wie alle News, die von "Der Zeit" allwöchentlich gespiegelt und von der Zeit auch überholt werden - wie die Zeit der Tage von September/Oktober 1989 bis zum Januar 1990, die Marosch Schröders Zyklus umspannt.

 

"Nichts ist so alt wie die Zeit und die Zeitung von gestern", die Übermalung möchte Zeit selbst stillstellen, den Zerfall hinauszögern, die Übermalung recycelt die Zeit und den Zeitungsabfall. Zur Eigengesetzlichkeit des Materials gehört das normierte Zeitungsformat, das vorgegebene Layout in Spalten, Zeilen, Blöcken, der Charakter der Druck-Sache, ihr druck- und bildtechnischer, ihr serieller Charakter - Eigenheiten, die in diesen Arbeiten in immer neue Serien, Programme und Bildblöcke als Teil der Geschichte, an der Marosch Schröder malend schreibt, sich übersetzen. Indem er sich diese informelle Essenz des Alltäglichen im Zeitungsformat anverwandelt, gewinnt er für sich in der montierenden Verbindung von Zeit und Zeitungfaktizität mit den entwirklichenden Möglichkeiten der Übermalung, die der Norm-Wirklichkeit die Handschrift der Zeichnung und Bemalung entgegenstellt, eine Form der Assemblage. Etwas erscheint, indem etwas anderes verschwindet, ein Stück Realität wird zur Kenntlichkeit gebracht, ohne Zierat. Nachrichtensplittern, Titeln, Schriften wird durch die Übermalung ein Stück Real-Poesie entnommen. Der Dürftigkeit der Welt wird ein Mehr entlockt, im Lesen zwischen den Zeilen. Nennen wir es einfach Zwischen-Kunst. In der Ubermalung wird das Bild mit einem sprachlichen, mit einem erzählerischen Element bereichert und eine collagierte Zwischenform entsteht, aus Bild- und Sprachtext, aus Kunst und Nicht Kunst, und dem Betrachter bleibt es überlassen, die Beziehung zu "lesen". So wünsche ich als "Mann des Buches" viele Leser.

Marosch Schröder ist darin auch der professionelle Maskenbildner, als der er nebenbei tätig ist, wenn er Zeit und Zeitungsseite einerseits schminkt und retuschiert, andererseits deretuschiert, demaskiert, auf- und entdeckt. Und dieser Doppelcharakter des Tuns steckt nicht nur in der Wirklichkeit, sondern auch schon wieder im Material, indem die Information als Zeitung Ware ist, indem Zeit kostbarer wird, indem Kunst zur Ware wird. Und wir wissen: Das Bildverständnis eines optisch genannten Zeitalters hat sich geändert, denn die vervielfältigte Zeitungsseite eint Bild und Wort, und im Zeitungsbild spiegelt sich auch die fotografisch erfaßte Welt. Das technische Apparatbild, mit der der Mensch seine Vorstellungskraft dem Bildapparat übertrug, die technisch-apparathafte Weltsicht und die belichtete Zeit werden in der Übermalung wieder mit Imaginationskraft, authentischer Vorstellung versetzt. Marosch Schröders Übermalungen suchen eine neue Bild-Sprache.

Das Expressive dieser wandzeichnungsartigen Art-News des Marosch Schröder, dieses Stellwände-Rondell inszeniert den Ort, an dem wir uns befinden, in spannungsvollem Zusammenspiel mit den feinflüchtigen, den spontan gesetzten Bleistiftlinien und -strichen, den Zeichnungsbändern der Gabriele Heidecker

Eine Akteurin des Zeichenstifts, die auf Akteur und Akteurin der Bühne reagiert, und die in ihren Notes wie in Anmerkungen, wie in steno- und seismographischen Kürzeln, in einer fernöstlich inspirierten Verschmelzung von Schrift und Zeichen, die Bühnenbewegung aus der Perspektive der Sehenden und Empfindenden interpretiert. Interpretiert und auch bannt. Wie dort Marosch Schröder Zeit stillstellt, so halten hier Gabriele Heideckers Notes die Bewegungen in Bühnenraum und Bühnenzeit fest, und lassen sie los in neuer Dynamik, die sich zu Zeichnungsbändern entrollt, zu laufenden Aktzeichnungen. Ein Spiel zwischen Ruhe und Dynamik - stehende Bewegung - entfaltet sich, gleichsam als Spiegel tragischer Dynamik einer Penthesilea, halb Furie, halb Grazie, in der
Verschränkung von Krieg und Eros; oder als Spiegel-Spiel eines nicht minder tragischen Philoktet.

Mann und Frau werden zur Figur, die Figur wird zum Zeichen, das Figuration und Abstraktion verschmilzt, zum Zeichen werden der Raum und die Bewegung in der Zeit, Sprachbewegung übersetzt sich in ein giacomettihaftes Formen, dem es nicht auf das Ziel, sondern auf den Weg ankommt. Bei Gabriele Heidecker entstehen Zeichenbänder, Exerzitien aus innerer Anschauung, die im Medium der theatralischen Bewegung sich eine minimalistische Ausdrucksschrift sucht - eine immer wiederkehrende und wieder zu erlernende elementare Zeichengrundschrift, die zurückverweist auf existentiale und archetypische Erfahrungen, auf einen Raum stummen Wissens, der in keiner anderen Sprache vermittelt werden kann.

Meine Damen und Herren, im Anfang war das Wort - heißt es. Das Wort ist -eine Gestalt. Davon konnte ich in dieser Ausstellung von Gabriele Heidecker und Marosch Schröder lesend und sehend etwas nachvollziehen. Vielleicht können Sie das mit mir teilen.

copyright: Christian Döring

Zu Christian Döring: Prosa und Poesie im Palazzo http://www.kreatives-schreiben-in-venedig.de/

Zu Gabriele Heidecker: http://www.gabrieleheidecker.de/78-0-Christian-Doering.html